Erfahrungspädagogik
Einführung in das Konzept des Instituts für Gestalt und Erfahrung
Obwohl jeder weiß, daß Lernen durch Erfahrung sehr effektiv ist, gibt
es noch keine ausgewiesene "Erfahrungspädagogik". Deshalb gebe ich in
aller Kürze einen Einblick in unsere Konzeption.
Eine erste Grundlage ist, daß die Lernprozesse generell auf Erfahrung
ausgelegt sind, das heißt auf integriertes Erleben. Erfahrungslernen geht
weit über kognitive Lernprozesse hinaus und ermöglicht in manchen Bereichen
wie in der Persönlichkeitsentwicklung erst wirksame Lernschritte. Dies,
weil es sich an alle Ebenen des Menschen, an Körper, Gefühle, Intellekt
und das Unbewußte wendet. Nebenbei fördert es auch die Integration der
Person. Anders als oft in der Erlebnispädagogik steht nicht das Erlebnis
im Mittelpunkt. Es hat sicherlich seinen eigen Wert, wichtiger aber ist
es als Medium für den gezielten Lernprozess sowie die Verarbeitung des
Erlebten in Erfahrung.
Eine weitere Grundlage der Erfahrungspädagogik besteht darin, sich auf
die wesentlichsten Lernprozesse im Verlauf der persönlichen Entwicklung
zu konzentrieren. Dazu gehören unter anderem:
- Der Mensch ist nicht Opfer seiner Umstände, sondern er gestaltet
sein Umfeld zum größten Teil selbst. Dies geschieht hauptsächlich
unbewußt. Er kann und muß die Verantwortung für sein Erleben und
Leben übernehmen. Dies macht ihn frei.
- Der Mensch ist weitgehend durch Programme und Glaubenssätze
(Introjekte) aus der Kindheit geprägt. Er folgt ihnen meist unbewußt.
Er kann und muß diese unbewußten Prägungen durch bewußte Entscheidungen
ersetzen, um sein ganzes Potential zu verwirklichen.
- Die "dunklen Seiten" der Person sind ebenso wichtig wie die hellen,
bewußten. In ihnen ist generell das verborgen, was zur Integration der
Person und zur Entwicklung ihres vollen Potentials fehlt. Es kann
entgiftet und nutzbar gemacht werden.
- Die Wahrnehmung anderer Menschen und damit auch die Beziehung zu
ihnen ist weitgehend durch Projektionen geprägt. Sich dieser bewußt
zu werden stärkt die Eigenverantwortung und verbessert den Kontakt.
- Gruppen können sehr unterstützend, heilsam und produktiv sein.
Voraussetzung sind offene Kommunikation und die Beachtung gruppendynamischer
Gesetzmäßigkeiten. Wie die Gruppe auf den Einzelnen reagiert hängt
mehr vom Einzelnen als von der Gruppe ab.
Es gibt noch viele weitere wichtige Ziele, individuelle wie soziale und
die oben genannten sind sehr allgemein gefaßt.
Lernprozesse in Richtung dieser Ziele sind nicht einfach zu erreichen.
Wir benötigen klare Pläne und gute Methoden.
Eine schier unerschöpfliche Quelle bieten die Mythen der Menschheit.
In ihnen wurden die zentralen Themen der persönlichen Entwicklung in
zahllosen Variationen beschrieben. Ihr Kern bildet den Basisplan unserer
Arbeit.
So beschreibt der Monomythos der Heldenreise, Kern der unzähligen
Heldenreise-Mythen von Gilgamesch oder Inanna über Jason zu Moses oder
Jesus, wie ganzheitliche Veränderungsprozesse im Menschen ablaufen. Ihm
zu folgen befähigt dazu, mehr und mehr die Verantwortung für das eigene
Leben zu übernehmen. Da dies unser wichtigstes Ziel darstellt, ist die
Heldenreise unser zentraler Mythos.
Die Grundlage dafür, das Unbewußte und dessen Figuren, die "Archetypen"
zu verstehen, haben vor allem C.G. Jung und seine Schüler geschaffen.
Die Weisheit der Mythen, ergänzt durch Erkenntnisse der Jungschen
Psychologie ergeben die Grundstruktur der Lernprozesse in unserer
Erfahrungspädagogik.
Eine wesentliche Rolle spielen auch Gestalttherapie und
Gestaltpädagogik. Ihr Menschenbild deckt sich weitgehend mit unserem.
Und hier wurde hervorragendes Handwerkszeug entwickelt, um Menschen
im Prozeß der Bewußtwerdung und der Entwicklung zur Kontaktfähigkeit
zu begleiten.
Darüber hinaus benötigen wir Methoden und Techniken aus vielen
Bereichen, um effektive Lernprozesse zu erschaffen: Körperarbeit
und Tanz, Rollenspiel und Inszenierungen, gelenkte Imaginationen
und Trancearbeit, kreative Techniken wie Malen und Maskenbau,
Methoden aus der Gruppendynamik und kognitive Techniken.
Ziele und Methoden werden in unserer Arbeit geplant. Die
Entwicklungsschritte sind jedoch nicht determiniert und lassen
Raum für das Individuum und für eigenständige Gruppenprozesse.
Grundsätzlich sind alle Lernprozesse so angelegt, daß sie in
Richtung Eigenverantwortung und Entfaltung des Potentials wirken.
Wie diese Selbstbestimmung wahrgenommen wird und wie das Potential
konkret bei jedem Einzelnen aussieht, bleibt offen. Jeder Einzelne
geht seinen Entwicklungsweg in höchst individueller Weise.
Erfahrungspädagogen sind letztlich Reiseführer.
Sie kennen sich im Terrain der persönlichen Entwicklung aus. Sie
wissen, welchen Weg die Heldinnen und Helden gehen müssen, um ihre
Belohnung zu finden. Sie gestalten eine virtuelle Landschaft (oder
suchen eine geeignete reale Landschaft aus), zeigen den Weg, wenn
sich einmal jemand verirrt hat, geben Unterstützung im Sinne von
Hilfe zur Selbsthilfe und geleiten zurück. Gehen muß jeder selbst.
Auch die Hindernisse muß jeder selbst überwinden. So ist auch die
Belohnung (der Lernfortschritt, die neu geborene Fähigkeit oder
Freiheit) selbst verdient und wirklich gewonnen.